OLG Celle, Beschluss vom 12.9.2019 – 6 AR 1/19

 

Zentrale Normen: Artt. 4, 21 EuErbVO

 

(Gewöhnlicher Aufenthalt bei Umzug ins Pflegeheim)

 

Amtliche Leitsätze:

1. Unter dem „gewöhnlichen Aufenthalt“ ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in der Zeit vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist. Eine Mindestdauer des Aufenthalts ist nicht erforderlich, jedenfalls kann auch ein Zeitraum von nur einigen Wochen ausreichend sein, einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ zu begründen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Ortswechsel dazu dient, sich in ein Pflegeheim zu begeben und mit einer Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort nicht gerechnet wird.

2. Die Geschäftsfähigkeit eines Erblassers ist im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nicht zu klären. § 8 BGB, wonach derjenige, der geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben kann, ist nicht (mehr) anwendbar. § 343 FamFG aF stellte noch auf den Wohnsitz ab, die Neufassung der Vorschrift hingegen „nur“ auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“.

 

Aus den Gründen:

Der nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 (s. auch OLG Brandenburg v. 17.8.2010 – 9 AR 4/10, BeckRS 2010, 20521) und § 5 Abs. 2 FamFG zuständige Senat bestimmt das AG Salzgitter als das zuständige Gericht.

§ 343 Abs. 1 FamFG stellt seit seiner Reform im Zusammenhang mit der EuErbVO und im Gleichlauf mit Art. 4 EuErbVO auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ des Erblassers ab (mit der Folge, dass ältere Entscheidungen zu § 343 Abs. 1 FamFG möglicherweise unberücksichtigt bleiben müssen, wie zB OLG Karlsruhe v. 21.5.2013 – 9 AR 11/13, ZEV 2013, 564).

Unter dem „gewöhnlichen Aufenthalt“ ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in der Zeit vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist. Inwieweit dabei neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch ein subjektives Element erforderlich ist, nämlich ein Aufenthaltswille, und welche Anforderungen insoweit zu stellen sind, scheint nicht abschließend geklärt.

Eine Mindestdauer des Aufenthalts ist nicht erforderlich, jedenfalls kann auch – wie hier – ein Zeitraum von nur einigen Wochen ausreichend sein, einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ zu begründen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – der Ortswechsel dazu dient, sich in ein Pflegeheim zu begeben und mit einer Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort nicht gerechnet wird.

Ob die (E) zur Zeit ihres Umzugs von Peine nach Salzgitter geschäftsunfähig war, steht nicht allein aufgrund der vom AG Peine im Beschluss vom …2019 genannten Umstände fest (das Protokoll der am …2018 im Wege der Rechtshilfe erfolgten richterlichen Anhörung im Betreuungsverfahren spricht gegen Geschäftsunfähigkeit). Es bedarf aber dazu auch keiner weiteren Ermittlungen. § 8 BGB, wonach derjenige, der geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben kann, ist nicht (mehr) anwendbar. § 343 FamFG aF stellte noch auf den Wohnsitz ab, die Neufassung der Vorschrift hingegen „nur“ auf den gewöhnlichen Aufenthalt. Davon unabhängig gilt für den vorliegenden Sachverhalt jedenfalls, dass Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit eines Erblassers im Verfahren der Bestimmung des für ein Erbscheinverfahren zuständigen Gerichts nicht nachzugehen ist. Es erscheint dem Senat fernliegend, allein in diesem Zusammenhang Ermittlungen anzustellen, die umfangreich und kostenintensiv sein können, die für das weitere Verfahren möglicherweise aber ohne Bedeutung sein werden (so bereits zu § 343 FamFG aF OLG Köln v. 6.2.2015 – 2 Wx 27/15, BeckRS 2015, 7622, ZEV 2015, 366 Ls. mwN).

Das Pflegeheim, in dem E verstorben ist, liegt im Zuständigkeitsbezirk des AG Salzgitter mit der Folge, dass dieses für die Nachlasssache zuständig ist.